Der Ausgangspunkt
Meine Voraussetzung ist: unsere gegenwärtige Art, Kirche/Gemeinde zu sein, kommt gerade an ihr Ende. Ich schreibe das als Landeskirchler, der sieht, wie der Rückbau der flächendeckenden Organisation jetzt in ein kritisches Stadium kommt. Im Augenblick versuchen die Kollegen noch, mit äußerstem Einsatz den Status Quo zu halten. Aber lange wird das nicht mehr gutgehen. Der individuelle und kollektive Burnout beginnt schon hier und dort, und die Flucht in übergemeindliche Posten hat sowieso längst eingesetzt. Das Geld ist gar nicht mal so knapp, aber der Nachwuchs wird es. Meine Prognose: es wird in der ersten Hälfte der 2030er kippen.
Vor allem sehe ich aber eine wachsende inhaltliche Entleerung. Predigten, Andachten und sonstige Voten werden oberflächlicher. Statt des Versuchs einer theologischen Durchdringung der gegenwärtigen Lage (was angesichts unserer umfassenden Zivilisationskrise dringend nötig wäre) werden Schlagworte reproduziert, Gefühle beschrieben, Geschichtchen erzählt und mit allerlei Kaspereien um Aufmerksamkeit gebuhlt. Bestenfalls noch Traditionen dekonstruiert, aber das bringt auch nicht weiter. Wenn sich mal jemand ereifert, dann über Stilfragen und Marketingkonzepte. Über allem liegt eine milde Depression, Resignation, und viele fühlen sich erschöpft. Fast niemand ist mehr echt stolz auf seine Arbeit und das, was er erreicht hat.
Ein ökumenisches Problem
In die Freikirchen schaue ich nicht so genau rein. Da geht es organisatorisch sicher anders zu, aber gelegentliche Gottesdienstbesuche und Begegnungen geben mir den Eindruck, dass es inhaltlich gar nicht so verschieden aussieht. Da sind meistens (nicht immer) noch mehr fromme Worte, aber man hat nicht das Gefühl, dass die Theologie oder auch nur der Glaube ein tägliches Handwerkszeug ist, das man unbedingt brauchen würde.
Wenn ich damit recht habe (natürlich sind das sehr subjektive Eindrücke, es gibt sicherlich auch andere), dann haben wir ein ökumenisches Problem. Aber es liegt nicht an den Unterschieden, sondern gerade die Gemeinsamkeiten quer durch fast alle christlichen Fraktionen in Deutschland (und vielleicht weit darüber hinaus) sind das Problem. Was führt eigentlich dazu, dass die deutsche Christenheit als Ganze in unserer gegenwärtigen Situation so wenig beizutragen hat, was die Gesellschaft aufhorchen lassen würde? In den Medien tauchen wir jedenfalls in der Regel nur mit Skandalen oder den ewiggleichen wohlabgewogenen Stellungnahmen auf.
Die Inhalte prägen unsere Kirchlichkeit
Nun bin ich aber mehr an Lösungen als an Fragen interessiert. Deswegen möchte ich die gegenwärtige Misere möglichst wenig analysieren (obwohl ich dazu auch viel mehr sagen könnte), sondern eher fragen: Wie würde eine Gemeinde/Kirche jenseits unserer jetzigen Kirchentümer aussehen? Und zwar nicht in erster Linie organisatorisch. Das ist zwar auch wichtig, aber eigentlich wird Kirche von ihrer Theologie her geprägt. Wenn man zB ernst nimmt, dass Christen nach Jesus das Salz und nicht der Teig sein sollen, dann kann man eigentlich gar nicht auf die Idee kommen, Volkskirche sein zu wollen. Freikirchen verstehen sich zwar als Minderheit, heben sich aber in der fundamentalen Theologie nur wenig von den Großkirchen ab.
Die Frage wäre also: Welche Einstellungen tief unten im Maschinenraum unserer gemeinsamen Theologie müssen verändert werden, wenn wir eine wirklich andere Art von Gemeinden/Kirchen wollen? Gegenüber dieser Frage sind Differenzen im Abendmahlsverständnis oder über die Rolle des Heiligen Geistes eher Pippikram (so viel Ketzerei muss sein).
Grundlegend neu denken
Um es noch einmal anders zu beschreiben: ich bin nicht interessiert an Musikstilen oder Liturgievarianten, auch nicht an Marketingkonzepten oder der ewigen Frage, wie wir "die Jugend" oder andere Milieus erreichen. Noch nicht mal an der Frage, wie wir unsere Inhalte in Sprache und Aroma modernisieren können. Das alles ist an seinem Ort sicher wichtig, geht aber am Kern vorbei. Meine Frage ist: Was sind denn eigentlich unsere Inhalte? Und welche grundlegenden theologischen Revisionen jenseits des Modernisierungsparadigmas ermöglichen ein fundamental neues, aber biblischeres Christentum?
Wohin das meiner Meinung nach gehen könnte, will ich in ein paar plakativen Stichworten andeuten (ich gebe von vornherein zu, dass das 1. noch längst nicht alle sind, und dass man 2. natürlich alles in Wirklichkeit differenzierter sehen muss):
- Schluss mit der Sühnopfertheologie. Gott ist weder schnell beleidigt, noch in seinen eigenen Gesetzen gefangen.
- Das Kreuz als ultimativen Konflikt zwischen Gott und den Imperien/Todesmächten sehen und es so (mit Paulus) als Rahmen für alle Theologie nehmen.
- Eine selbstbewusste Schöpfungstheologie, die in den aktuellen Naturwissenschaften Verbündete sieht
- Himmel als Ermöglichungsraum für die Erde, nicht als Endlager für tote Seelen mit dem korrekten Glaubensbekenntnis.
- Die Zukunft liegt nicht im Paradies, sondern im Neuen Jerusalem (Jens, das hab ich von dir!).
- Von der Gemeinde her denken, nicht vom Individuum her.
- Ein zwanzigjähriges Moratorium für alle Sex- und Familienthemen.
- Ausrotten der gnostischen Unterströmungen im Christentum
(ich bitte alle Nichttheologen um Entschuldigung, wenn ich das nicht erläutere, aber es geht hier einfach nicht. Im Prinzip ist es der Oberbegriff von allem Vorigen.)